Prosa
Wir erzählen uns ein ganzes Leben lang Geschichten – unsere Medien, unsere Bücher und unsere Köpfe sind voll davon.
Manche dieser Erzählungen werden als solche übersehen – wie Pressemitteilungen, Gebrauchsanweisungen, Reglements oder Gesetze. Sie erschaffen oder verstärken aber Sinneswelten im Dienste der besonderen Welt einer Institution oder eines Landes. Sie überbringen also Geschichten und sind Erzählungen.
Dann gibt es die anderen, offensichtlichen Erzählungen, die so kurz wie ein aus drei Wörtern bestehendes Zen-Gedicht oder so umfassend wie ein zweihundert Seiten langer Roman, bunt wie eine Maske oder leise wie ein Seufzer, atemberaubend wie die perfekt ausgeführte Arabeske einer Tänzerin sein können. Jede lässt in uns Emotionen aufsteigen, bietet unseren Träumen Spiegel und unseren Ängsten oder Aversionen Gegensätze.
Während die Werbung uns in eine dynamische Spannung lockt, um uns zum Kauf zu bewegen, haben Literatur und Kunst, wenn sie keinem unmittelbar kommerziellen oder ideologischen Interesse dienen, die Eigenart, für den Leser oder den Betrachter so etwas wie Standbilder hervorzurufen.
Sie bewegen dazu, Pausen einzulegen, in denen der Blick und das Denken von den vielen Erzählungen, die in uns und um uns ständig gewebt werden, loslassen.
Sich auf Kunst einzulassen heißt, freiwillig in eine Welt einzutauchen, die uns eine – etwas – verschobene Wirklichkeit widerspiegelt und somit eine gewisse Distanz und Selbstreflexion begünstigt – denn das Spiel mit Worten und Formen oder Tönen ist nie belanglos.